Mein TV-Star-Boyfriend drängt mich im November 2001, die Koffer zu packen und entführte mich auf die Seychellen. Als ernstzunehmendes Reiseziel waren die Inseln nie auf unserer Bucketlist. Mein lakonischer Satz dazu war stets „vielleicht mal nach einem Nervenzusammenbruch“. – Voilà, sowas Ähnliches war es jetzt ja auch nach dem großen Crash. Also durfte ich zwei Wochen lang einfach nur stumm riesige Schildkröten und bunte Fische anglotzen, dumm rumliegen und aufs Meer starren. Nachts joggte ich etwas manisch über den leeren Golfplatz. Das Resort war für ganz andere Kunden angelegt, aber der abdämpfende Luxus tat seine Wirkung.
𝗗𝗲𝗿 𝗨𝗻𝘁𝗲𝗿𝗻𝗲𝗵𝗺𝗲𝗿𝘁𝗿𝗼𝘁𝘇 𝗸𝗲𝗵𝗿𝘁𝗲 𝗹𝗮𝗻𝗴𝘀𝗮𝗺 𝘇𝘂𝗿ü𝗰𝗸.
Mein Gründungspartner Matthias und ich waren uns einig, dass wir nicht als One-Hit-Wonder dieses Abenteuer beenden wollten. Die Netzpiloten waren schließlich aufgeladen mit einer millionenschweren Mediakampagne, und dementsprechend gab es noch jede Menge traffic auf unseren Websites. Nur Mitarbeiter*innen gab es eben so gut wie keine mehr.
Unser Glück im Unglück: Wir Digitalunternehmer lernten zum ersten Mal, dass unsere Produkte auch mit minimalem personellen Aufwand weiterliefen. Jedenfalls für eine zeitlang, und das gab uns Luft zum Aufrappeln. Wir hielten uns über Wasser mit Mini-Einnahmen aus der Online-Werbung und der Unterstützung aus der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Der Spaß hielt sich in Grenzen, aber Aufgeben war keine Option.
Wir ahnten 2002 noch nicht, dass dem Dotcom-Boom sehr schnell schon weitere große Digital-Wellen folgen würden – und dass wir Netzpiloten auch da mit dabei sein würden. In den folgenden Jahren wurden wir erfolgreiche Online-Marketing Experten und verbanden uns mit der aufkommenden Blogosphäre. Was soll ich sagen, es ging mehrmals rauf und runter. Offenbar hat uns der süchtig machende Aggregatzustand eines Start-ups nie verlassen.
Aber mal die Heldenreise-Story beiseite gelegt: Heute bin ich überzeugt, dass der Dotcom-Crash in Wirklichkeit meine Gesundheit gerettet hat. Wir funktionierten zwar sehr gut unter den Anforderungen des Turbo-Start-ups. Aber längst fühlten wir uns total fremdbestimmt und fragten uns, wie wir diesen Druck ewig hätten aushalten wollen.
An alle high-perfoming Start-Upper da draußen: Wenn ihr euch bei krassen Gewohnheiten ertappt, wie ihr euch als Rennpferde notorisch fit haltet (Liter von frisch gepressten Säften pro Tag, nächtliche Jogging-Runden im Regen...), haltet mal inne und überprüft euren Traum.
Ich weiß es natürlich genau: Manchmal kommt man nicht raus aus der Nummer. In dem Falle wünsche ich euch eine liebende Person in eurer Nähe, die euch im richtigen Moment zu den Seychellen entführt oder nach Usedom oder in die nächste Wellnessoase. 𝘔𝘦𝘳𝘤𝘪 𝘊𝘩é𝘳𝘪𝘦! Schöne Weihnachten euch allen!
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